Die Mitglieder der AfD benötigten mehrere Tage, um die Ergebnisse des 10. Bundesparteitags vom 30.11. und 01.12.2019 zu verarbeiten – ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Die Ereignisse von Braunschweig lassen viele Mitglieder ernsthaft daran zweifeln, ob ihr Verbleib in der Partei überhaupt noch einen Sinn hat. Der Donnerhall ist noch nicht verklungen, wird aber bei der bürgerlichen AfD-Wählerschaft als abschreckendes Zeichen wahrgenommen werden.

Mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass viele prominente Kandidaten und gestandene Funktionäre, die sich immer entschlossen für einen bürgerlichen Weg der Partei einsetzten, nicht (wieder)gewählt wurden. Es waren vor allem jene Kandidaten wie Georg Pazderski und Uwe Junge, die sich im Vorfeld gegen einen Personenkult um Björn Höcke ausgesprochen hatten. Eine völlig berechtigte Kritik, wie sie zuvor bereits an Bernd Lucke und Frauke Petry geübt wurde, seinerzeit übrigens auch von Vertretern des „Flügels“. Björn Höcke zeigt sich darüber erfreut, indem er über diese Personen herabwürdigend als „Feindzeugen“ spricht. Gleichzeitig wählten über 300 Delegierte mit Andreas Kalbitz eine zentrale Flügelfigur, obwohl in den letzten Monaten immer mehr Details bekannt wurden, die eindeutig Kalbitz‘ rechtsextreme Vita belegten. Die Wahl von Kalbitz erfolgte dennoch, obwohl ein gestandener, unbelasteter und bürgerlicher Gegenkandidat zur Wahl stand. Die Außenwirkung dieser Entscheidung ist verheerend. Die AfD verspielte damit eine große Chance, Volkspartei zu werden. Das kann aber nur in der Mitte der Gesellschaft erfolgen und nicht an deren Rändern!

Dadurch leidet die AfD im siebten Jahr ihres Bestehens an massiven Imageproblemen. Wer die Partei unterstützt, erfährt aufgrund dieses Negativimages Ausgrenzungen im sozialen und beruflichen Leben. Viele der Imageprobleme entstanden über Jahre durch öffentliche Meinungsmache und mediale Übertreibung, Vieles ist jedoch selbstverschuldet, oft aufgrund von Protagonisten, die dem Flügel zuzurechnen sind. Wir sprachen solche Dinge an, vielfach zum Missfallen anderer Parteimitglieder, besonders natürlich denen des Flügels. Wir sahen es jedoch als nötig an, um den im Grundsatzprogramm festgelegten Kurs der AfD zu  erhalten. Nach wie vor halten wir an den Gründungsidealen und –werten der AfD fest, die rechtsradikale Umtriebe auf das Entschiedenste ablehnen und bekämpfen.

Heute scheint der Flügel indes gefestigt wie nie. Die Dominanz, die er einst einem Bernd Lucke und einer Frauke Petry vorwarf, strebt er mit Höcke und Kalbitz als Gallionsfiguren nun selbst an, ohne über seine Rolle und Funktion in der Partei eine sinnvolle Antwort zu geben und ohne dazu legitimiert zu sein. Denn wie das Landesschiedsgericht Bayern in seiner Entscheidung vom 30.06.2019 feststellte, handelt es sich beim „Flügel“ um eine politische Konkurrenzorganisation zur AfD, die sich demzufolge auflösen müsste. Um nicht in Konflikte mit dem Flügel zu geraten, arrangiert man sich stattdessen mit ihm, um den eigenen Posten bzw. das eigene Mandat zu behalten. Andere lassen ihn einfach walten. Kritik am Flügel oder ihren Vertretern schrumpft im selben Maß wie Toleranz gegenüber ihren innerparteilichen Kritikern aufgegeben wird. Diese Situation führt dazu, dass die AfD nicht mehr als bürgerliche Partei wahrgenommen wird und damit jegliche Chance verspielt, die bürgerliche Mitte der Gesellschaft zu erreichen und anzusprechen. Gänzlich verspielt wird diese Chance dann, wenn auf Grund von Personalien wie Andreas Kalbitz, Stephan Protschka u.a. die AfD in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen würde. „Der Flügel“ wird bereits jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet. Dieser Fall würde dann endgültig zum Austritt tausender Mitglieder führen, die sich eine Mitgliedschaft unter diesen Umständen aus beruflichen Gründen nicht leisten können.

Auch wenn einzelne Mitglieder des Bundesvorstands eine kritische Sicht auf den Flügel haben, sehen wir nur geringe Chancen, dass diese Sicht ab jetzt zur Geltung kommt. Eine Partei, die der „Feindzeugen-Theorie“ von Björn Höcke folgt und innerparteiliche Kritik als feindlichen Akt diffamiert, wird keine Zukunft haben. Vielmehr wird dies dazu führen, dass bürgerliche und freiheitlich denkende Patrioten die AfD enttäuscht in großer Zahl verlassen. Sollte die Parteiführung nicht reagieren, wird dies ein regelrechter Exodus werden. Die AfD wäre dann von dem Ziel, Volkspartei und regierungsfähig zu werden, Lichtjahre entfernt. Das wäre aber dann das Scheitern des „Projekts AfD“, denn so viel Zeit steht nicht mehr zur Verfügung, um die politischen Missstände in diesem Land zu beseitigen. Die AfD steht nach diesem Bundesparteitag vor einem Scheideweg: geht sie den Weg in die politische Bedeutungslosigkeit wie seinerzeit „Die Republikaner“ oder will sie eine regierungsfähige Volkspartei werden, mit der Chance, dieses Land politisch (mit-)gestalten zu können?

Es ist an der Partei und ihrer Führung, uns in der nächsten Zeit zu zeigen, dass sie auch nach innen ihre Kritikfähigkeit erhält und nicht zur Marionette des „Flügels“ geworden ist.

 

Die Sprecher der Alternativen Mitte