Dr. Jens Wilharm hat massiv reagiert auf die Anwürfe der Flügelspitze auf den Bundesvorstand und die Alternative Mitte.

Die Kritik, die er seit je her am Flügel geübt hat, fiel zu Anfang moderat aus und betonte immer, daß es einen Weg geben muß miteinander zu reden und die Gemeinsamkeiten zu betonen. Das war guter demokratischer Stil. So habe ich ihn kennen und schätzen gelernt, weil es auch meiner Einstellung entspricht.

Das Gesprächsangebot der Alternative Mitte, kurz AM, stand von Anfang an. Genutzt hat es der Flügel nicht. Vielmehr wurden die liberalen Mitglieder als „Halbe“ geschmäht und Versuche, für andere Parteien koalitionsfähig zu werden, wurden als Verrat an der Sache deklariert. Aber welcher Sache? Für viele Mitglieder ist der Weg und die Art und Weise des Flügels nicht ihre Sache. Sie haben das Grundsatzprogramm als Leitlinie verinnerlicht, der Flügel nicht. Er fiel immer nur durch weitere Eskalation auf, durch Provokationen, Schmähungen und Verschieben des „Erlaubten“ ins Nationalistische.

Daß diese defensive Haltung der AM irgendwann mal zuende sein muß, wenn die Anwürfe zu heftig werden, war im Vorfeld schon klar. Vielleicht ist dieser Zeitpunkt jetzt gekommen.

Hier die Stellungnahme von Dr. Jens Wilharm zu den Angriffen des Flügelfrontmannes Björn Höcke auf dem Kyffhäuser Treffen 2019.

 

„Jens Wilharm

12.07.2019 auf Facebook

Der Flügel und die AfD müssen sich trennen, zum Wohle Deutschlands

Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in nicht allzu ferner Zukunft eine als rechtsextrem eingestufte Partei in Deutschland geben, die die Nachfolge von Parteien wie NPD oder DVU im Parteienspektrum antritt. Die Frage ist vermutlich nicht mehr ob, sondern nur, wie lange es noch dauert. Und die Frage ist womöglich auch nur noch, ob sie „Der Flügel“ oder AfD heißen wird. Noch hat die AfD die Chance, diese Frage im positiven Sinne zu beeinflussen. Tut sie es nicht, ist es Verrat an der Mehrheit meist schweigender Mitglieder, die eine Alternative im demokratischen Spektrum wollte, aber keine rechtsextreme. Und dann ist das auch ein weiterer Schritt hin zu einer dauerhaften Etablierung des Linksstaates in einem untergehenden Deutschland. Das Gegenteil dessen, was alle, die sich seit 2013 der AfD angeschlossen haben, erreichen wollten. Dann verlieren alle. Am Ende auch die Opportunisten, die erheblichen Anteil daran haben, dass „Der Flügel“ in der AfD wachsen und gedeihen konnte.

Diese Partei würde die Anschlussfähigkeit an mehrheitsfähige Koalitionen vollständig und dauerhaft verlieren. Ihre Mitglieder und Anhänger würden auch die Gesellschaftsfähigkeit dauerhaft verlieren. Eine solche Partei würde damit nicht nur politisch nichts bewirken können, so wie es die NPD in 55 Jahren auch nicht getan hat. Sondern einer solchen Partei würde außerhalb der eigenen, zahlenmäßig begrenzten, Anhängerschaft, auch niemand mehr zuhören. Und zwar egal, wie ungerecht behandelt sich deren eigene Mitglieder auch immer fühlen mögen. Wenn das Stigma „rechtsextrem“ erst einmal erfolgreich gesetzt ist und sich in den Köpfen der Bevölkerungsmehrheit eingebrannt hat, hat eine solche Partei in Deutschland den maximalen Igitt-Faktor und ist politisch erledigt.

Ich möchte nicht, dass diese Partei AfD heißt.“

 

Auch wenn ich den Aufruf der 100 unterschrieben habe, diese Ansicht teile ich unumwunden. Denn wenn Jens Wilharm als einer der arriviertesten Köpfe der Alternativen Mitte eine so glasklare Forderung aufstellt, ist eine rote Linie überschritten worden. Vielleicht sind seine roten Linien erheblich breiter gezeichnet und es dauert länger sie zu überschreiten, als bei anderen Mitgliedern, die ein solches Anliegen schon früher angedeutet haben. Aber letztlich ist es egal, wann die Forderung gestellt wird. Es gibt ja immer wieder einen Anlaß aus der Flügelspitze zu der Erkenntnis zu gelangen, daß es so nicht weitergehen kann.

Das Merkwürdige ist nur, daß immer, wenn Herr Höcke mal wieder über die Stänge geschlagen hat, und wenn dann, von wem auch immer, Schelte kommt und von einer möglichen Trennung geredet wird, von Flügelseite sofort die Einigkeit beschworen wird. Warum wohl?

Auffällig ist dabei, daß der große Vorsitzende die verbalen Fehltritte begeht und das „Fußvolk“ dann anschließend nicht so ausgefeilt die Kommentarspalten der Sozialen Medien füllt mit Aussagen, daß die AfD ohne Höcke nichts sei. Der Niveauunterschied in solchen Forentreads ist immens. Ob sich diese „Kommentatoren“ bewußt sind, daß der Flügel ohne die anderen, die liberalen Mitglieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt?

Da stellen sich für den Betrachter mehrere Fragen. Warum ist der Flügel so dominant? Er hat es verstanden, seit der ersten „Häutung“ die markanten Posten zu besetzen in den Landesverbänden und diese damit zu dominieren. In den kleineren Landesverbänden ist dies gut an wenigen Personen festzumachen, die oft mit undemokratischen Mitteln nach Gutsherrenart ihre Macht ausüben und damit keine liberalen Kräfte an Schaltstellen gelangen lassen oder sie von dort entfernen (Saarland, Bremen). Das bedeutet nicht, daß in den großen Landesverbänden nicht die gleiche Methode wirkt (siehe NRW). Viele liberale Mitglieder sind nach solchen undemokratischen Attacken ausgetreten. Was in kleinen Landesverbänden durchaus mal knapp 20% aller Mitglieder sein konnten. Die liberalen Mitglieder, die kritisch einige Entscheidungen hinterfragen, sind oft in langen Prozessen über viele Parteitage hinweg diskreditiert und schließlich aus der Partei hinausgemobbt worden. Einigen wurde mit ominösen Begründungen der Zutritt zu Parteitagen verwehrt (Bremen).

Um die Frage zu beantworten, die Durchorganisation des Flügels gibt ihm klare hierarchische Strukturen und damit Informationskanäle, die effizient genutzt werden können. Und da wäre noch der „Think Tank“ zu nennen, bestehend aus Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer, in dem die Strategien der politischen Richtungsverschiebung der AfD entwickelt werden. Das AfD-Grundsatzprogramm gilt hier sicherlich nichts.

Viele der „Flügel-Mitläufer“ verstehen gar nicht was hinter den Kulissen wirklich geschieht. Sie wollen ihrem Unmut allenfalls durch die Parteimitgliedschaft Ausdruck verleihen. Mehr nicht. Und dafür wählen sie eben diese Flügel-Personen auf die markanten Posten um den Krawall aufrecht zu halten. Politik ist das nicht. Aber darauf kommt es denen wohl auch nicht an, wenn ein „die machen das schon“ als hinreichende Beteiligung angesehen wird.

Diese Mentalität läßt sich etlichen Parteimitgliedern zuordnen. Denn betrachtet man die Fakten, daß in einer Partei mit 35.000 Mitgliedern ca. 20% dem Flügel zuzuordnen sind, muß entweder die Grau- oder Dunkelzone derjenigen sehr groß sein, die den Flügel unterstützen ohne selbst dafür öffentlich einzutreten oder es wird Zeit für die Masse aufzuwachen und die „Parlamentsorientierten“ mit demokratischen Mitteln wieder in die Steuerungsfunktionen zu bringen.

Nur müßten erst alle Schlafenden aufwachen und alle Unentschiedenen sich entscheiden. Dann würde man eventuell deutlich sehen, wie sich die Verhältnisse verschieben und die AfD die Signale nach außen senden kann, die für einen Mitgliederzuwachs erforderlich sind. Heute verpuffen solche Signale im Geheule der Medien über malwieder eine verbale Entgleisung von Herrn Höcke. 28.000 Parteimitglieder, die nicht zum Kyffhäuser streben und doch die Mehrheit bilden, verbleiben, um die AfD wieder zu einer europakritischen Partei zu machen, die den Eurowahnsinn bekämpft und die nationale Entscheidungsgewalt an vielen Stellen wieder aus europäischer Hand zurückholt, ohne in nationalistische Töne zu verfallen. Das Grundsatzprogramm hat klare Vorgaben gemacht wie die Parteilinie verläuft. Daran halten sich Flügelgesteuerte nur oft nicht. Das bringt der Partei zusätzliche Kritik ein. Ein schwächelnder, opportunistischer Gauland*) hat dem wenig entgegenzusetzen. Zumal er ja insgeheim Höckes inhaltlichen Aussagen nicht ablehnend gegenüber steht. Meuthens Versuche der Zusammenführung der beiden Strömungen, die Wolfgang Schroeder in seinem FAZ Interview mit Markus Wehner die „Parlaments- und Bewegungsorientierten“ nannte, werden nach der bereits eingesetzten Zeit und dem erreichten Ergebnis betrachtet, auch in Zukunft keine Verbesserung bringen. Es sieht eher schon wie Anbiederung aus. Deshalb ist es absolut notwendig, wenn andere Aufgewachte jetzt versuchen das Heft in die Hand zu nehmen, um weitere „Brandschneisen der Zerstörung“ (Markus Wehner) zu verhindern.

In mehreren Aktionen und Äußerungen ist es nun angeklungen, daß viele der Meinung sind, sich vom Flügel befreien zu müssen. Das war hier ja auch die Ausgangsposition. Nur, wie will man ca. 7.000 Flügel-Anhänger auf einmal aus der Partei hinaus bekommen? Es gibt keine tragfähige rechtliche Handhabe dafür. Ausschlußverfahren müßten zuerst in den Landesschiedsgerichten verhandelt werden. Wie das ausgeht ist aus thüringischen Beispielen bekannt. Und Massenverfahren beim Bundesschiedsgericht? Selbst drei Kammern wären wohl hoffnungslos überfordert und es würde Jahre dauern, bis zum Abschluß. Zumal dann immer noch kein Ende wäre, da der Gang zu einem ordentlichen Gericht auf jeden Fall noch offensteht.

Daß sich eine Partei namens ‑Der Flügel‑ gründet und alle jetzigen Anhänger mit wehenden Fahnen, von denen sie ja offensichtlich genug haben, dort sofort eintreten, ist nicht zu erwarten. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr.

Eine weitere, von vornherein aber wohl aussichtslose Möglichkeit wäre, die Alternative Mitte als Partei neu zu gründen. Die Ansprache der 28.000 könnte ein Mengengerüst offenbaren, das ausreichend ist, die Neugründung gleich mit einer angemessenen Anzahl Mitglieder auszustatten. Das Grundsatzprogramm ist eh vorwiegend von Mitgliedern des liberalen Lagers entwickelt worden und könnte nahtlos übernommen werden. Und der Flügel fühlt sich ja offensichtlich ehr nicht daran gebunden. Somit wäre die politische Richtung einer solchen Gründung vorgegeben.

Die dann wieder zu bewältigenden Mühen der Gründung, die aus den ersten Stunden der AfD Gründung bekannt sind, hier mal nicht betrachtet.

Allerdings muß eines klar als Damoklesschwert erkannt werden. Eine neue Partei „Alternative Mitte“ würde dann allein wegen ihrer politischen Richtung in den Fokus der Alt-Parteien rücken, weil sie es dann ist, die nach gewonnenen Wahlen Mandate beansprucht und die Fraktionen der anderen schmälert. Dann werden die Haßtiraden auf diese Partei übertragen. Der Flügel heißt dann zwar AfD, wird aber wie die früheren rechtsradikalen Parteien, irgendwann in der Versenkung verschwinden. Dann wird auch ein Björn Höcke nicht mehr so viel Aufsehen erregen.

peter jadasch

 

 

*) nach Wolfgang Schroeder im FAZ Interview mit Markus Wehner